„Kein Diesel-Fahrverbot in Stuttgart“ Stuttgart, 24.01.2019
Der Leiter
Kein Diesel-Fahrverbot in Stuttgart
Offener Brief an Parteien und Presse in Stuttgart und Umgebung
Sehr geehrter Herr Minister,
aufgrund einer Strafanzeige haben Sie der Presse mitgeteilt, dass der Standort und die Daten der Stationären Messstelle für den Luftschadstoff NOX u.a. „Am Neckartor“ schon tausendmal geprüft und korrekt seien. Von vielen Demonstranten und Fachleuten wird bezweifelt, dass der Standort dieser Messstelle in der Nähe einer Ampelanlage repräsentative NOX-Werte liefere, unter anderem auch deshalb, weil beim Anfahren der Kraftfahrzeuge mehr Sprit verbraucht wird und somit mehr Schadstoffe emittiert werden. Die Daten aller unmittelbar an der Straße stehenden Messstationen messen außerdem nur Daten, die für das Straßenstück gelten, an dem sie stehen, nicht aber für das sie umgebende Gebiet.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart wurde auf Betreiben des Landes nur eine Sprungrevision eingelegt, die das Bundesverwaltungsgericht daran hinderte zu prüfen, ob die im Luftreinhalteplan zugrundeliegenden NOX-Werte nach den gesetzlichen Vorgaben im Bundesimmissionsschutzgesetz erhoben worden sind.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entfaltet keine dauernde Rechtskraft, sondern steht unter dem Vorbehalt der sich ändernden Verhältnisse. Die Stadt als zuständige Straßenverkehrsbehörde ist gesetzlich verpflichtet, regelmäßig zu prüfen, ob die Messstationen aufgrund geänderter Verhältnisse (noch) korrekte Messwerte liefern, die Fahrverbote in ganz Stuttgart oder bestimmten Straßen rechtfertigen.
Es wird deshalb gebeten, die Stadt Stuttgart anzuweisen, die Messdaten unter den nachfolgenden Gesichtspunkten zu überprüfen:
Die dem Luftreinhaltplan zugrunde gelegten Messwert liefern Anhaltspunkte, dass Immissionsgrenzwerte in der Umweltzone überschritten werden. Die gemessenen Werte müssen jedoch den Anforderungen der Rechtsverordnung zum Bundesumweltschutzgesetz (§ 47 BImSchG) entsprechen. In Anlage 3 der 39. Verordnung zum BImSchG (zu den §§ 2, 3, 13, 14 und 21 BImSchV) ist genau gesagt, nach welchen Kriterien die Luftqualität in allen Gebieten und Ballungsräumen (nicht Straßen!) zu beurteilen ist, die in den Abschnitten B und C für die Lage der Probenahmestellen für ortsfeste Messungen festgelegt sind.
Wenn die Messwerte die in § 12 BImschV definierte obere Beurteilungsschwelle für Stickoxid (32 mikrogr/m3) wie in Stuttgart überschreiten, sind im Gebiet der Messstation weitere orientierende Messungen vorgeschrieben, um ein realistisches Bild über die räumliche Ausbreitung der NOX-Schadstoffe in der Luft zu erhalten. Modellrechnungen sind nur zulässig, wenn die obere oder untere Beurteilungsschwelle unterschritten wird. Es gilt der Grundsatz: je niedriger der Messwert, desto weniger Messdaten sind für die Beurteilung der Luftqualität erforderlich. Unabhängig von der Art ihrer Gewinnung (Messung oder Berechnung) sind Daten nicht ausreichend, die sich allein auf Straßenräume und nicht auf das räumliche Umfeld beziehen. Im Einzelnen enthält die Verordnung nach dem Sinn und Zweck des Immissionsschutzrechts folgende Vorgaben:
Die Einhaltung der zum Schutz der menschlichen Gesundheit festgelegten Immissionsgrenzwerte wird an folgenden Orten nicht beurteilt: a) an denen es keine festen Wohnunterkünfte gibt; b) auf dem Gelände von Arbeitsstätten, für die 950 microgr/m3 gelten und c) auf den Fahrbahnen der Straßen (!).
Für den Bereich „Am Neckartor“ ist also die Luftqualität des Wohngebiets und nicht die der Arbeitsstätten (Gericht, ADAC) oder gar des Straßenraums von Bedeutung. Die Wohnhäuser liegen unmittelbar an der B14. Die auf der Straßenseite der Wohngebäude gemessenen Werte können nach dem Willen des Gesetzes nicht auf die Luftqualität der dortigen Wohngebäude oder gar auf das ganze angrenzende Gebiet übertragen werden. Denn NOX ist ein Gas, das nach den Naturgesetzen leicht flüchtig ist und Mauern sowie geschlossene Fenster nicht durchdringen kann, es sei denn sämtliche Fenster wären ständig geöffnet. Diese Annahme widerspräche aber den üblichen Verhaltensmustern von Menschen, die an verkehrsreichen Straßen wohnen. Nach den allgemeinen Denkgesetzen ist demnach die Annahme unzulässig, dass die auf der Straße gemessenen NOX-Werte ohne jede Prüfung auch für die Wohnungen zutreffen.
Da das Gesetz keine Erhebung von Daten in Wohnungen vorschreibt, die durch Rauchen, Kochen und ähnliches sogar ganz erheblich erhöht sein können, müssen im Bereich der Wohnbebauung in der Nähe der Stationären Messpunkte orientierende Messungen durchgeführt werden, um dort die Luftqualität beurteilen zu können. Gesetzlich sind derartige Messungen an etwa der Hälfte der stationären Messstationen vorgeschrieben.
Im Luftreinhalteplan ist nur erwähnt, „Am Neckartor wurden seitdem weitere Profilmesspunkte zur Bestimmung von Stickstoffdioxid (NO2) eingerichtet, um ein besseres Bild von der räumlichen Verteilung der Stickstoffdioxidkonzentration zu erhalten“ Mit welchem Ergebnis dies geschah, wird nicht gesagt.
Unter Punkt 3.3.2 Sondermessstellen wird nur erwähnt, dass „Vor dem Hintergrund der regelmäßigen Überschreitungen der Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid (NO2) in Stuttgart seit August 2015 an fünf neuen Standorten Messstellen hierfür eingerichtet wurden, somit wurde die Anzahl der Standorte für die Messung von Stickstoffdioxid (NO2) in Stuttgart verdoppelt. Die Standorte der Messstellen sind: Hauptstätter Straße (Stuttgart-Süd), Heilbronner Straße (Stuttgart-Nord), Schwabstraße (Stuttgart-West) und Ludwigsburger Straße (Stuttgart-Zuffenhausen) sowie im Stadtgarten (erst seit März 2016; Stuttgart-Mitte).“ Mit weiteren Messstellen an der Straße wird jedoch die beschriebe Hintergrundproblematik nicht gelöst.
Messwerte, die ausschließlich an einem Punkt der Straße erhoben werden, genügen den gesetzlichen Anforderungen nicht. Bei Überschreiten der oberen Beurteilungsschwelle muss auch im Wohnbereich gemessen werden. Modellrechnungen zur räumlichen Beurteilung der Luftqualität sind unzulässig. Die „Gesamtwirkungsanalyse“, auf deren Daten sich der Luftreinhalteplan der Stadt Stuttgart im Wesentlichen stützt, genügt den Vorschriften nicht.
Hierauf hat auch das Bundesverwaltungsgericht, dem die Prüfung der Datenerhebung verwehrt war, hingewiesen: „Eine Gesamtwirkungsanalyse sehen weder die unionsrechtlichen noch die nationalen Vorschriften vor.“ (Seite 23 des Urteils). Das Bundesverwaltungsgericht musste bei seinem Urteil von den im Luftreinhalteplan ausgewiesenen NOX2-Schadstoffdaten ausgehen, weil die vom Land bewusst beschränkte Sprungrevision keine sachliche, sondern nur eine rechtliche Prüfung erlaubte.
Die dem Luftreinhalteplan als Anlage beigefügte Datenanalyse (Gesamtwirkungsgutachten) errechnet aus den Messstellen-Daten NOX2-Daten von Straßenpunkten nach Maßgabe des Handbuchs für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs, Version 3.2, Infras 2014, fiktive Modelldaten „pro Streckenabschnitt“. Diese auf der Grundlage von Verkehrszählungsdaten und sonstigen emissionsrelevanten Merkmalen erhobenen Daten ergeben keine rechtskonforme Datenbasis für den Luftreinhaltplan und können Messergebnisse im räumlichen Umfeld nicht ersetzen.
Es wird deshalb gebeten, die Stadt Stuttgart anzuweisen, die Messdaten unter den vorgenannten Gesichtspunkten zu überprüfen.
Mit freundlichen Grüßen
Joannis Sakkaros